Leseprobe 2
Bernum war in das oben am Berg gelegene Dorf gefahren, um weisungsgemäß das Polizeirevier aufzusuchen und hatte auch den Wohnwagen mitgenommen. So konnte er danach an irgendeine andere Stelle fahren. Eben, ganz nach seiner augenblicklichen Eingebung. Er klopfte und blieb dann verdutzt in der Tür stehen. Vor ihm stand nicht nur der Beamte von gestern Abend, sondern - er überflog in Gedanken schnell noch einmal sein Äußeres - an der Schreibmaschine saß das Fräulein vom Vortag. Johannes grüßte und gab sich sachlich, wusste er sich doch jetzt sauber rasiert und korrekt gewandet. Er blieb vorsichtig zurückhaltend und diktierte seine Aussage in die Maschine. Ob das sein Hund sei? Die Dünen seien Naturschutzgebiet. Das freie Campen sei auch nicht gestattet. Sachlicher, unpersönlicher Hinweis. Aber unter den gegebenen Umständen und der Veranlassung nicht unfreundlich.
Ob sie schon eine Ahnung hätten?
"Nein."
"Ich wüsste gerne ..."
"Sie können ja wieder nachfragen. Hier, bitte durchlesen und unterschreiben."
Sie hatte blaue Augen. Tiefe, blaue Augen, wie abendlicher klarer Winterhimmel über Schnee, wie die wilde Akelei am Deich, blaue Augen zum Verlieben. Nein, nicht zum Verlieben. Johannes hatte ja schon Feuer gefangen und fühlte die Hitze in sich emporsteigen, als sich ihre Blicke begegneten. "Sogar eine Sekretärin haben Sie hier." Er versuchte das Gespräch zu dem Beamten zu verlagern, der am Schreibtisch saß.
"Ich helfe hier nur aus."
Die anschließende Pause war so lang, dass Johannes nicht ohne Peinlichkeit verweilen konnte. "Komm Fips, das war`s. Wir sind nun über."
Er fühlte am Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern, dass sie ihm nachblickte. Sollte er sich noch einmal umdrehen? Nach ihr? Oder wäre das zu aufdringlich. Er dachte an die verpassten Gelegenheiten. Nicht schon wieder.
Fast zwangsweise drehte er sich noch einmal um. "Ich frage dann in der nächsten Woche noch einmal nach!"
Die nächste Woche! Heute war doch erst Donnerstag. Das ganze Wochenende lag noch davor und dann fünf Tage Arbeit, ehe er wieder herauf kommen könnte. Ob er sie dann noch einmal ansprechen konnte, antreffen würde. Sollte er nicht lieber gleich?
Sie wusste zwar seine Personalien aus der Akte, aber sie konnte ihn doch unmöglich um ein Wiedersehen bitten. Und er? Er kannte sie ja kaum. Sollte er sie ganz einfach fragen?
Johannes dachte wieder an seine verpassten Gelegenheiten.
"Bitte", sagte er etwas unsicher, "ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber darf ich wohl ..." Er fühlte die Röte wieder in sich aufsteigen, "Darf ich wohl um Ihren Namen bitten?" und um das dienstliche Interesse hervorzuheben, fügte er hinzu "Und die Telefonnummer des Reviers?"
Natürlich hatte er nicht ganz flüssig gesprochen, weil er jedes Wort schnell abzuwägen versuchte und sah nun, wie der Beamte heimlich auf seine Akten hinab lächelte und glaubte doch etwas wie Sonntagsglocken zu hören:
"Ich heiße Gudrun Brodereit!" Ihre Augen waren jetzt so tief und dunkel, wie ein Waldsee zwischen hohen Buchen. "Rufen Sie ruhig an. Wenn wir etwas erfahren haben, dürfen Sie es wahrscheinlich auch wissen. Sie haben schließlich die Sachen gefunden."
"Auf Wiedersehen und vielen Dank, Fräulein Brodereit!"
Johannes verließ fluchtartig den Raum und hatte noch immer Herzklopfen, als er in seinen Wagen stieg. Er konnte auch nicht gleich anfahren, tief und befreit atmete er durch und war insgesamt doch ziemlich durcheinander.