Leseprobe 1
Am Strande, wo zwischen Kieseln und Holzstücken, Seetang und Muscheln sich Dauerndes und Vergängliches brüderlich umarmen, wo die Möwe mit zartem, leichten Fuß ihre Spur in den frisch geglätteten Sand drückt und das Meer mit jeder Welle, die brechend, leise rauschend und schäumend herauf leckt, diesen flüchtig hingeworfenen Abdruck wieder auslöscht, wo die flüchtige Gischt zurückflutend den aufgewirbelten Steinen und Sandkörnern ein heimtückisch trügerisches Lebewohl sagt, um sie dann mit dem nächsten Anlaufen in die Brandungszone zurück zu reißen, in den Wirbel ihres eigenen Lebens zurück zu führen, einem Wirbel, der Kommen und Gehen bleibt, auch wenn sich in ihm Einzelnes verliert, dort am Strande lag nahe der Schwemmkante vor ein paar Tagen eine sorgfältig gefaltete alte Jacke, denen Ärmel an den Ellenbogen mit auch schon wieder ein wenig abgenutzten Flicken besetzt waren, und deren eine nach oben ausgebeulte Tasche auch noch einen kleinen dezenten Einriss aufwies. Auf der Jacke lag eine alte Seemannsmütze, wie sie hier oben an der Küste viele Menschen auch im Binnenland als normale Kopfbedeckung tragen und auch dann, wenn sie sonst mit der Seefahrt keine andere Verbindung außer einer unbestimmten, unscharfen Sehnsucht nach Weite und Meer haben.
Der Schirm glänzte speckig und der Teller blaute nur noch ausgewaschen, schlaff und auch schon leicht fleckig.
Vor der Jacke standen zwei ausgetretene, wohl ehemals als halbhohe feste Schuhe zu bezeichnende Veteranen, deren vordere Rundungen empor gebogen waren, wie die Enden einer wohl gestopften Wurst, ohne jedoch in üblicher Weise, wie aus den Karikaturen über die aus der Gesellschaft Herausgefallenen bekannt, auch ein Sohlenmaul zu öffnen.
Die an das Ufer schlagenden Wellen, denen die erste Kraft schon weiter draußen durch die untergründigen Sandbänke genommen worden war, so dass sie sich brechend schon dort zum Teil verschäumt hatten, nahmen keine Notiz von diesen Spuren menschlichen Daseins. Ihnen war es gleich. Sie gischteten und brandeten, drückten das Treibende in die Tiefe und warfen Holz, Seegras und Muscheln an den Strand, wie schon immer.
Zum Gleichmut der bewegten Natur, dem Wandel des Meeres und dem stoßenden unruhigen Wind erzeugte dieses Gebilde aus den offensichtlichen Abfällen unserer Zivilisation einen recht auffälligen Kontrapunkt, der aus dem sonst in sich stimmigen Bild der Natur ein Stillleben mit einem Fragezeichen schuf, mit der als Überraschung eingefügten Spannung menschlichen Seins und Handelns.
Es geschieht ja oft, auch wenn ein Leben natürlich und in vorgegebenen Bahnen abläuft, dass es sich unter den heftigen Strömungen und brechenden Wellen geistiger und auch geistlicher Einflüsse immer wieder plötzlich aus dem Gleichmaß des Üblichen heraus hebt, sich aufbäumt, aufs Neue einen Wendepunkt findet oder auch verhaltende Stationen, je nachdem, wie die Seele des Einzelnen reagiert und plötzlich ist alles anders..
Diese schon leicht eingestäubte Hinterlassenschaft störte hier das erlebbare Bild der bewegten Vollkommenheit erheblich, obwohl auch sie schon wieder durch den feinsten fliegenden Sand in die Natur einbezogen wurde. Der Strand dehnte sich menschenleer und atmete noch die frühsommerliche Wärme des vergehenden Tages, der sich eben zu seiner Neige herabsenkte.
Über die Dünen, die sich immerfort rieselnd und webend unter dem haarigen Schutz eines dichten Felles von Strandhafer duckten und über den vor ihnen liegenden weiten Sand des Gestades hob der Abendwind zum Meer hin und gegen die Wellen des vergangenen Tages einen schon nach Sommer duftenden Blütenrausch aus dem weiter zurückliegenden Land herüber und in der abendlichen Verlassenheit des Strandes, den nur eine einzelne Möwe mit ihrem gellenden Ruf eher noch einsamer machte, als ihn zu beleben, wirkte dieser herübergewehte Duft wie das Parfum einer fremden, rassigen Frau: Verlockend, erregend und alle Sinne weckend. Man glaubte, die Rabatten und Büsche ferner Parks und Gärten zu riechen und die würzige Schwere frisch aufgegrabener Erde zu schmecken.